Zum Konzert des Ensembles La Récréation am 13.5. waren ursprünglich auch Gedichtrezitationen geplant. Hier kommt eines von Sybilla Schwarz bekantesten Gedichten, eingeleitet von unserem ehemaligen Festivalleiter Walter Baumgartner, der auch auf die Veranstaltungen des bevorstehenden Schwarz-Jahres hinweist.

Sibylla Schwarz (1621-1638), die Bürgermeistertochter aus Greifwald, ist in neuester Zeit als wichtige Barockdichterin wiederentdeckt worden. Heute halten Literaturwissenschaftler Tagungen über sie ab. Begeisterte Leser sorgen für ihre Internetpräsenz.
Sibylla Schwarz hat mit allen Genres experimentiert. Sie hat freche Adelskritik geübt und ein ergreifendes Lied über ihren eigenen Tod geschrieben. Heute sind ihre Liebesgedichte beliebt, und die Idyllen, in denen sie den Sommer am Greifswalder Bodden, in Frätow, besingt. Oder die Zerstörung dieses ihres Sehnsuchtsorts durch den Dreißigjährigen Krieg. Ein traurig und stellenweise doch lustiger kleiner Schäferroman handelt von zweien, die sich nicht kriegen können – wegen ihrer „Blödigkeit“ (Geniertheit) und weil der Pappa es nicht will.
In Greifswald wird nächstes Jahr die 400-jährige Wiederkehr von Sibylla Schwarz‘ Geburtstags mit zahlreichen Veranstaltungen, verteilt auf das ganze Jahr, gefeiert. Konzerte, eine Ausstellung, Theateraufführungen, Vorlesungen, der Film „Sibylla Back in Town“ werden zu sehen und zu hören sein. Ausserdem finden literarische Workshops statt, eine neue wissenschaftliche Gesamtausgabe ihres Werks wird lanciert und eine Graphic Novel über ihr Leben.
Sonett
DIe Lieb ist blind/ und gleichwohl kan sie sehen/
hat ein Gesicht/ und ist doch stahrenblind/
sie nennt sich groß/ und ist ein kleines Kind/
ist wohl zu Fuß/ und kan dannoch nicht gehen.
Doch diss muß man auff ander’ art verstehen:
sie kan nicht sehn/ weil ihr Verstand zerrinnt/
und weil das Aug des Herzens ihr verschwindt/
so siht sie selbst nicht/ was ihr ist geschehen.
Das/ was sie liebt/ hat keinen Mangel nicht/
wie wohl ihm mehr/ als andern/ offt gebricht.
Das/ was sie liebt/ kan ohn Gebrechen leben;
doch weil man hier ohn Fehler nichtes find/
so schließ ich fort: Die Lieb ist sehend blind:
sie siht selbst nicht/ und kans Gesichte geben.