Die sagenhafte Welt der Sagas

Aktuelle Ausgaben zur altnordischen Literatur

Altnordische Sagas haben wohl die wenigsten von uns gelesen. Auf Island kennt sie dagegen jedes Kind. Wenn man sich heute auf sie einlässt, kann man spannende Erzählwelten entdecken.

So schildern die Sagas Geschichten von Abenteuern, Entdeckungen, Liebe und Hass, Krieg und Frieden, dem Drang nach Freiheit. Im Grunde sind dies die ewigen Themen, die auch in heutigen Geschichten ein wichtiger Bestandteil sind. Nur sind sie in einem etwas anderen Paket verpackt und folgen in der Regel einem ganz klaren, nachvollziehbaren Aufbau. Bei den Isländersagas, dem großen bekannten Genre, lässt sich erkennen, dass es sich bei der Hauptfigur zumeist um eine ganz bestimmte Person handelt, deren Leben hier erzählt wird. So beispielsweise die Saga von Kormák. Dabei geht es um einen Skalden, der sich in eine Frau verliebt und heiraten will. Aufgrund eines Fluches verpasst er die Hochzeit und verliert seine Angebetete. Auch als er eine weitere Chance erhält, wirkt sich der Fluch der Hexe und seine ungestüme Art wieder zu seinem Nachteil aus. Die Geschichte endet mit seinem Tod und damit tragisch.

Dies ist generell bei den Sagas festzustellen, dass sie meist tragisch enden und kein Happy End haben. Dennoch erlebt man beim Lesen, dass sie sehr lebendig erzählt und detailliert beschrieben sind. So fühlt man sich zumeist direkt in die beschriebene Szene hineinversetzt und kann so die Stimmung aufnehmen. Bemerkenswert ist auch, dass verschiedene Handlungsabschnitte in den Geschichten ganze Jahre zusammenfassen, um dann wieder in einer bestimmten Szene, mit Dialogen, anzuknüpfen. Diese Erzählweise ist für das europäische Mittelalter ganz ungewöhnlich, denn auf dem Festland sind zur selben Zeit im 1100 bis 1400 keine vergleichbaren Schriften entstanden.

Ein wirklich sehr bekanntes Werk aus dieser Zeit ist die Geschichte der Nibelungen um den Drachentöter Siegfried, die auch später von Richard Wagner adaptiert und vertont wurde. In der altnordischen Literatur gibt es ein entsprechendes Pendant: Die Völsunga saga.

Hier tritt der Bezwinger des Lindwurms unter dem Namen Sigurd auf. Im Inhalt und den verarbeiteten Stoffen sind beide Geschichten sehr ähnlich und in etwa zur gleichen Zeit an völlig unterschiedlichen Orten entstanden. Aber auch gewisse Unterschiede sind vorhanden. So lässt Kriemhild ihre Brüder zum Ende der Geschichte von ihrem zweiten Ehemann Attila aus Rache für den Tod Siegfrieds töten. In der Völsunga saga hingegen bringt Etzel die Brüder Gudruns aus eigenem Antrieb um und endet damit ebenfalls wieder tragisch für die Hauptpersonen.

Als Vorbild für die Figur des Attila/Etzel diente sicherlich der berühmte Hunnenkönig aus der Zeit der Völkerwanderung. Auch die weiteren Teile der Saga lassen sich auf deutlich ältere Quellen wie die Liederedda und Volkssagen zurückführen. Es wird vermutet, dass der germanische Feldherr Arminus, der die römischen Legionen, die sich – gleich einem Lindwurm – durch den Teutoburger Wald schlängelten, niederwarf, als Vorbild für Sigurd/Siegfried diente.

Weitergeführt wird die Völsunga saga in Ragnars saga loðbrókar ok sona hans (Die Saga von Ragnar Lodbrok und seinen Söhnen). Diese wurde auch in Teilen durch die Serie „Vikings“ bekannt und weiterverarbeitet.

Wir sehen also, dass alte Stoffe die Menschen interessieren und faszinieren. Sie werden neu interpretiert und bleiben so in der modernen Medienwelt aktuell. Um in die sagenhafte Welt der starken Frauen und Männer, der Abenteuer und der Liebe, der Hexen und Zauberer einzutauchen, lohnt eine Lektüre der altnordischen Sagas allemal. Da muss man auch kein Altnordisch können, denn es gibt ein breites Spektrum an Übersetzungen.

(Text: Sebastian Brath)