Joik – Die Gesangstradition der Sámi

Marja Mortensson – eine Joik-Künstlerin mit südsamischen Wurzeln

„Ich denke, dass viel in der Tradition liegt, dass man ist, was man joikt. Traditionell gesehen vermittelt Joik einen Schöpfungsmythos. Es ist eine andere Art, Musik zu denken, eine andere Denkweise.“ Mit diesen Worten antwortete die südsamische Künstlerin Marja Mortensson in einem Interview mit der norwegischen Zeitung „vårt land“ im April 2019 auf die Frage, was sie am meisten am Joik fasziniert. Doch was genau ist Joik eigentlich?

Joik ist der traditionelle Gesang der Sámi, und Joiken ist die traditionelle, samische Art zu singen. Das Wort „Joik“ stammt ursprünglich von dem samischen Verb „juoigat“ ab, was „joiken“ bedeutet. Diese Musikform ist durch eine rezitierende Art des Singens mit Wiederholung und Variation, die auf kurzen und speziellen Stimmgebrauchstechniken aufbaut, gekennzeichnet. Die Joik-Tradition wird als eine der ältestes Vokaltraditionen Europas angesehen und ihr Ursprung reicht bis in das Steinzeitalter zurück. Der Joik hat immer einen eigenen Platz im samischen Bewusstsein innegehabt, sowohl als Identitätsstifter als auch als die Musik der Schamanen in der alten samischen Religion.

Ursprünglich war der Joik an vorchristliche Opfergaben gebunden. Er stellte eine Art Gebet an Geister und Götter dar, damit diese das Opfer entgegennahmen. Indem man für die Götter geopfert hatte, hoffte man auf Glück und Wachstum der Rentierherden, Glück für die Jagd und die Fischerei und dass die Götter Tod und Krankheiten abwenden würden. Aber auch bei privaten Zusammenkünften und Festen wurde gejoikt, denn es wurden neben den vorchristlichen Aspekten viele alltägliche Themen in diese Musikform aufgenommen. Da Joiken jedoch häufig Verwendung bei der Opferung und Anbetung von vorchristlichen Göttern fand, wurde es von Christen als sündig begriffen. Die Missionare, die die Sámi christianisieren sollten, verboten aufgrund dessen den Joik. Nicht nur der Gebrauch in der vorchristlichen Religion war ein Grund dafür, sondern auch die Unterdrückung der samischen Kultur und der Wunsch nach Norwegisierung der Sámi trugen zu dem Verbot bei.

Mit der im frühen 17. Jahrhundert beginnenden Christianisierung wird ein sehr dunkles Kapitel der norwegischen Vergangenheit und damit der Geschichte des Joiks aufgeschlagen. Mehrere Jahrhunderte lang standen die Sámi unter starkem Druck der norwegischen Regierung. Sie durften ihre eigene Sprache nicht mehr sprechen und mussten unter strengen Richtlinien Norwegisch lernen. Beinahe 300 Jahre später wurde das Sámi-Gesetz 1988 in die norwegische Verfassung aufgenommen. Der Joik hat als tief verwurzeltes Symbol für die samische Kultur diese lange Zeit überlebt und erlebt seit der neuen Identitätssuche der Sámi ein Revival.

Die samische Flagge trägt die Farben rot, blau, gelb und grün, die ebenso die traditionelle, samische Kleidung (gákti) prägen. Der geteilte Kreis ist ein altes samisches Symbol, das hier die Sonne als roten Halbkreis und den Mond als blauen Halbkreis sowie samischen Zusammenhalt symbolisiert.

Heutzutage wird mit und ohne Instrumente gejoikt. Normalerweise ist die Melodie das tragende Element im Joik. Zusammen mit dem Rhythmus und dem Takt ist sie das wichtigste Kennzeichen. In manchen samischen Regionen sind Texte ebenfalls essenziell für den Joik. Sie verleihen mehr Bedeutung und beschreiben den Gegenstand des Joiks, zusätzlich zur Melodie, näher. Während die Sámi joiken, arbeiten sie stark mit ihrer Vorstellungskraft, denn sie joiken nicht über etwas, sondern sie joiken etwas. Sie holen sich sozusagen beim Joiken etwas Bestimmtes ganz in die Nähe. Sámi joiken Personen, Tiere oder auch Landschaften. Dabei ist die Melodie des Joiks nicht in Verse unterteilt, wie man es von anderen vokalen Musikformen kennt. Die Joikmelodie verläuft in einem langen oder kurzen Zirkel. Daher kann man auch sagen, dass ein Joik nie zu Ende geht.

Wie bereits erwähnt gibt es verschiedene Arten von Joiks: Personen-, Tier- und Naturjoiks. Personenjoiks sind persönliche Joikmelodien, die oftmals in Verbindung mit einem Text stehen, der speziell für eine Person geschaffen wurde. Der Joik kann wie ein zusätzlicher Name für die Person, die gejoikt wird, empfunden werden. Die Persönlichkeit und die Eigenschaften einer Person werden mithilfe von Melodie, Text, Rhythmus und Takt geschildert. Wenn man eine Person joikt, dann beschreibt man diese Person sozusagen mit einem Ton- bzw. einen Melodienamen. Einen eigenen Joik zu erhalten wird als große Ehrung angesehen. Personenjoiks können beispielsweise als Geschenk an eine Person gegeben werden. In früheren Zeiten hatten fast alle Sámi einen eigenen Joik. Deswegen werden Joiks als sehr wichtig für die eigene Identität angesehen. Ein Tierjoik hingegen beschreibt Eigenarten eines Tieres mithilfe der Melodie, beispielsweise wie ein Tier sich bewegt und ob es groß oder klein ist. Tierjoiks werden auch zur Aufmunterung eines Tieres genutzt. Zum Beispiel kann es sein, dass ein Rentier den Schlitten schneller zieht, wenn es seinen eigenen Joik hört. Darüber hinaus gibt es noch die Naturjoiks. Die Melodien dieser Joiks können schroffen Felsen von Berglandschaften, Wellen der rauen See oder das Poltern einer Rentierherde über eine Hochebene lautmalerisch nachempfinden.

Rentiere haben aufgrund der tiefen Verwurzelung der Rentierzucht in der samischen Kultur eine besondere Bedeutung für die Sámi.

Früher wurden derartige Joiks von den Tönen der Schamanentrommel begleitet. In der heutigen Zeit erlangen moderne Interpretationen immer mehr an Bedeutung und sind aus der Musikwelt nicht mehr wegzudenken. Viele Künstler fallen durch ihre Fähigkeit auf, die alte Gesangstradition mit Genres wie Pop, Electronica und Jazz zu verbinden. Zu diesen Künstlern gehört Marja Mortensson, die vor zwei Jahren im Theater Vorpommern beim Nordischen Klang mit ihren zwei Bandmitgliedern aufgetreten ist. Mortensson fasst die Bedeutung des Joiks für sich so zusammen: „Joik ist eine eigene Philosophie. Es geht um die Verbundenheit mit der Natur und den Menschen um einen herum. Wenn ich joike, füllt sich mein Kopf mit Bildern und ich fühle, dass ich reise – entweder an einen Ort oder in die Seele der Person, die ich joike.“ Die Gesangstradition wird verwendet, um Gefühle zu beschreiben und um sich an jemanden oder etwas zu erinnern, aber auch, um jemanden oder etwas zu ehren. Er drückt eine sehr tiefe Verbundenheit zur samischen Kultur aus und ist aufgrund seines identitätsstiftenden Aspekts überaus bedeutsam für die Sámi.

Das Marja Mortensson Trio trat 2018 bei der Joik-Nacht im Theater Vorpommern auf.

Kurzer Fun Fact zum Schluss: 2013 fand der Joik dank Frode Fjellheim, einem südsamischen Musiker, und seinen Kompositionen für den Disneyfilm „Frozen“ (Die Eiskönigin – Völlig unverfroren) seinen Weg nach Hollywood. Fjellheim ist der Onkel von Marja Mortensson und trat einige Jahre vor seiner Nichte selbst beim Nordischen Klang auf. 2006 gestaltete er mit seiner Band „Transjoik“ das Programm des Kulturfestivals mit.

Text: Luise Helling

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