Von Sumé bis Nanook. Populärmusik in Grönland (NK 24)
Zu dem Videovortrag von Jens Rasmussen, Dozent des Dänischen Lektorats der Universität Greifswald und überhaupt selbst Däne, versammelten wir uns alle im dunklen, mittelalterlich anmutenden Gewölbe unter der Greifswalder Stadtbibliothek in der Knopfstraße. Die Plätze waren begrenzt, und ich war wirklich froh, noch einen Platz ergattert zu haben. Der Vortrag begann mit einem sehr schönen Intro mit einem traditionellen Gesang einer jungen Grönländerin und der Ansicht der grönländischen Landschaft. Irgendwie waren wir alle fasziniert von dieser fremdländischen Atmosphäre, dieser fremden Kultur, mit der wir so gut wie nie in Kontakt treten würden... Als danach Stille herrschte, meinte Jens, dies wäre ein Wahlsong zur sozialdemokratischen Partei Grönlands gewesen. Wir brüllten los vor Lachen. – „Tja“, meinte Jens – „die Grönländer machen eben aus dem, was da ist, hübsche Musik. Und wenn es eben die sozialdemokratische Partei ist.“
Dann folgte ein kurzer geschichtlicher Überblick über die Kolonialisierung Grönlands durch die Dänen, die Unabhängigkeitsbestrebungen der Grönländer und der nun herrschenden Autonomie der Insel, wenn sie auch weiterhin als selbstverwaltetes Territorium mit dänischer Amtssprache dem Königreich Dänemark angegliedert ist. Daraufhin kamen wir zu den verschiedenen Strömungen der grönländischen Musik während der letzten Jahrzehnte: Zunächst war nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ein großer Einfluss amerikanischer Musik zu verzeichnen. Auch viele dänische Einflüsse waren spürbar. In den 70iger Jahren gab es einen starken Schub der Club-Musik, angelehnt an die Club-Musik des europäischen Festlandes. Etabliert wurde sie von jungen Musikern, die während ihres Studienaufenthalts in Dänemark mit dieser Musik in Kontakt gekommen waren. Wieder zurück aus Dänemark spielten sie Eigenkreationen in diesem Stil in den grönländischen Clubs. In den 90iger Jahren kam es vermehrt zur Hinwendung an die grönländische Sprache – Hintergrund war die allgemeine Kritik an der dänischen Sprachpolitik und deren repressiven Charakter der einheimischen Sprache gegenüber. Der in Europa und Amerika neu aufgekommene Rap wurde auch auf Grönland gesungen, jedoch in grönländischer Sprache, die unter anderem auch vom Thema her die Sprachpolitik Dänemarks zum Inhalt hatten. Gerade hier war ein Aufbegehren vornehmlich der jüngeren Generation zu spüren.
Ab 2010 widmete sich die grönländische Musikszene zunehmend der Thematik des Klimawandels, die für die Grönländer schon früh besonders deutlich seh- und spürbar war – Wetter- und Eisverhältnisse, die die traditionelle Jagd beeinflussten und die die Jäger und Fischer sofort in Relation zu ihren früheren Erfahrungen setzen konnten. Beeindruckend in diesem Zusammenhang war für mich ein Videoclip, der zum Abschluss des Vortrags gezeigt wurde. Zu sehen waren zwei junge Musiker, die am vereisten Ufer sich tänzerisch mit Masken bewegten. Parallel war ein Eisbär zu sehen, der durch die Eisdecke bricht. Einer der Männer stürzt sich daraufhin ebenfalls in die Fluten. Im Laufe des Songs kann man sehen, wie der Eisbär – und parallel der Mann, der immer noch die Maske trägt – sich durch das Wasser kämpfen, bis sie sich zum Schluss doch noch an Land retten können. Auf diese Weise setzen sich die Musiker mit dem Eisbären gleich, die als Grönländer denselben Lebensraum mit ihm teilen. Und dennoch gilt diese Gleichsetzung doch metaphorisch für die ganze Welt, da der Klimawandel – und das wissen wir alle – uns alle treffen wird.
Weiterführend berührte mich dieses Video jedoch in Bezug auf die Semantik hin, die in der Verkörperung des Eisbären zu lesen war: Die Verantwortung des Menschen für seine Mitgeschöpfe. Die Thematik Tier spielte und spielt in allen Kulturen und zu allen Zeiten des Menschen eine prominente Rolle – bis hin zur heutigen Politik des Tierschutzes. Ohne das Tier sind wir nichts. Im Tier spiegeln und projizieren wir uns selbst immer wieder neu. Ohne das Tier als permanente Reflexionsfläche können wir Menschen anscheinend nicht existieren. Umso wichtiger also die Erhaltung des Tieres und seines Lebensraumes, wichtig für uns selbst. Wie anders wäre es sonst zu erklären, dass die Bedürfnisse des Tieres in Bezug zum Klimawandel immer wieder von den unterschiedlichsten Menschengruppen thematisiert wird? Dies wurde einmal mehr durch die Masken der Musiker deutlich gemacht.
Autorin: Wanda Leysieffer